Die Stille zur Weihnacht

 

 

Sabrina hatte es kommen sehen und doch nicht zu verhindern vermocht. Nun saß sie hier, am späten Nachmittag in der Walther Rathenau Gewerbeschule und hütete den Schreibtisch, Sekretariat und ja, auch das gesamte Gebäude.

 

 

 

Während alle anderen, die Schüler, der Lehrkörper, das Verwaltungspersonal und sogar der Hausmeister, sich in die wohlverdienten Weihnachtsferien verabschiedet hatten, musste die Arme hier ihren Schreibtisch bewachen und aufpassen, dass das Telefon nicht klingelte.

 

 

 

Und wie es in einer verlassenen Schule eben ist, wirkt ein solcher Bau doch schnell erdrückend. Die leeren Räume, die verwaisten Säle und die kalten Flure hatten nichts mit der wuseligen Betriebsamkeit des Schulalltags gemein, welche über die abstoßende 70er Jahre Waschbeton-Architektur hinwegzutäuschen vermochte.  

 

 

 

So saß Sabrina in ihrem Büro und versuchte sich mit der Ablage abzulenken, als sie auf die Straße hinausblickte. Es hatte aufgehört zu schneien und der Himmel klarte auf.

 

 

 

Eben war sie bei den Statistiken über die unentschuldigten Fehltage angekommen, als ein helles Licht auf ihre Akten fiel. Ein Funkeln der Sterne, direkt auf ihre Unterlagen. Sabrina wusste natürlich was das war, sie hatte es in der Zeitung gelesen. Die große Konjunktion zwischen Jupiter und Saturn, wie sie alle zwanzig Jahre, seit Anbeginn der Zeit auftrat. Nichts, was einen von der Arbeit abhielt.   

 

 

 

Eben stellte sie den Ordner in den Schrank, als es am Portal läutete. Ein heftiger Schreck durchfuhr sie. Sabrina brauchte einen Augenblick, bis sie entscheid, was zu tun sei. Dann fiel es ihr ein, schon lange gab es eine Videoüberwachungsanlage, die auch den Eingang observierte. Wenn sie den Rektor beim Begrüßungsrundgang richtig verstanden hatte, konnte man auch mit den Leuten, dort am Eingang sprechen.

 

 

 

Sie wollte eben nach dem Mikrophon für die Gegensprechanlage suchen, als sie ein junges Mädchen erkannte, die mit einem Baby im Arm an der Tür klingelte. Da gab es ja nichts zu überlegen. Nach kurzem Suchen fand Sabrina den Türöffner und drückte.

 

 

 

Als sie unten ankam, stand jedoch nicht nur die Kleine mit dem Kind, sondern plötzlich hatte sie noch einen älteren Herrn im Schlepptau.

 

„Unser Wagen ist stehen geblieben und es ist bitterkalt hier draußen!“

 

 

 

Tja, was sollte Sabrina machen? Sie bat die ungebetenen Gäste herein. Aber eines wusste sie, es würde dem Rektor nicht gefallen.

 

 

 

Sie nahm die drei mit nach oben ins Sekretariat und setzte Kaffee auf.

 

 

 

Man saß eben in dem kleinen Büro beisammen und wärmte sich an den heißen Tassen, während der Kleine friedlich auf dem Schreibtisch schlief, als sich plötzlich der Hausalarm zu Wort meldete. Ein wenig überstürzt entschuldigte sich Sabrina bei ihren Gästen und hastete hinüber in den Videoraum. Auf den Bildschirmen waren drei garstige Finsterlinge, mit mehr oder minder fremdländischen Wurzeln zu erkennen, die sich über den Werkraum, im Souterrain Einlass verschafften. Gottlob war die damalige Einweisung fundiert und der Griff zum Telefonhörer wirkte geradewegs routiniert. Ein schnuckeliger Telefonist versicherte ihr, dass eine Streife schon auf dem Weg sei.

 

Als Sabrina den Hörer wieder auf die Gabel legte, schnaufte sie durch und war sie sich sicher:

 

Dem Rektor würde es nicht gefallen!

 

 

 

Welchem Zufall es geschuldet war, dass sowohl die drei Unholde als auch die Retter in Uniform zeitgleich das kleine Sekretariat erreichten, wusste im Nachhinein niemand mehr so genau zu sagen. Fest stand jedoch, dass es nun schon recht kuschelig wurde, in der kleinen Schreibstube.

 

 

 

„Haben wir euch endlich!“, rief ein bulliger Beamter, der lustigerweise den Namen Ochs auf seinem fein ziselierten Namensschild trug, den drei ein wenig erschrocken dreinschauenden Eindringlingen entgegen. Und sein Kollege, der sich, den Gepflogenheiten der Etikette entsprechend, als Hans Langohr vorstellte, sekundierte, dass man der Bande schon lange Zeit auf den Fersen sei.

 

 

 

„Aber wir wollten doch nur den Leuten, die eben hier reingegangen sind, ihren Autoschlüssel wiedergeben, die sie im Schnee verloren haben!“, verteidigte sich ein Dunkelhäutiger, den Sabrina am Ehesten im Orient verortet hätte.

 

„Ja genau!“, attestierte der Nächste, der rotbärtig daherkam und einen nordeuropäischen Einschlag hatte, „… und außerdem haben wir noch eine Packung Pampers für den Kleinen dabei.“

 

„Und eine Rassel!“, ergänzte der Letzte, der einen recht dunklen Teint aufwies, der, wie zum Beweis ein hölzernes Lärminstrument in die Höhe hielt.

 

 

 

„Und trotzdem seid ihr hier eingestiegen!“, brüllte der Beamte Ochs ein wenig ungehalten.

 

„Wie aus dem Bilderbuch der Klan Kriminalität!“, ergänzte sein Partner unverdrossen.

 

 

 

Die Situation drohte zu eskalieren und es war die umsichtige Bürofachkraft, die wusste, was zur Beruhigung beitragen konnte. Blitzgeschwind holte sie eine Tupperschüssel mit Selbstgebackenem hervor und verteilte sie an ihre ungebetenen Gäste. Die hatte sie mit ihren Kindern gebacken und eigentlich waren sie für den Rektor vorgesehen.

 

Aber das Spritzgebäck mochte nicht wirklich zur Beruhigung beizutragen. Im Gegenteil, stieg doch der Erregungspegel unaufhaltsam an. Immer lauter wurden die Wortgefechte und der guten Sabrina drohte die Angelegenheit zu entgleiten.

 

 

 

Es war eine Viehherde, die lautstark am Schulgebäude vorbeizog. Das Geblöke und Gebrülle ließ die Anwesenden verstummen und alles schaute den Schafen dort draußen hinterher. Die Gesichtsausdrücke der Anwesenden unterschieden sich nur unwesentlich von denen der Vierbeiner dort draußen. Das der Schäfer mit einem breiten Grinsen den Hut zog, passte da nur ins Bild.

 

 

 

In diesem Augenblick lichtete sich erneut die Wolkendecke und der bereits erwähnte Konstellation strahlte recht wuchtig in das kleine Sekretariatsbüro, auf den neuen Erdenbürger, der dort auf dem Schreibtisch ruhte. Bestimmt war es das Konvolut aus Schafen und Sternenschein, und vielleicht auch ein wenig aus Kaffee und Weihnachtskeksen, welche den so ersehnten Frieden brachte.

 

 

 

Friedvoll schauten sich die Protagonisten, dieser wundersamen Zusammenkunft geradezu erleuchtet in die Augen und es erschien beinahe so, als ob sich alle fragten, warum sie denn vor Kurzem noch so aufgebracht gewesen waren.

 

 

 

Das hätte das wundersame Ende unserer kleinen Geschichte sein können, wenn, ja wenn nicht in diesem Augenblick der Rektor die Bühne betrat und, nicht zu Unrecht zu wissen verlangte, was hier denn vor sich ging?

 

 

 

Und so trug jeder der Anwesenden seinen kleinen Anteil an dieser wundersamen Geschichte vor. Allen voran der Rechtsstaat in Gestalt von Ochs und Langohr, gefolgt von den drei Eindringlingen, die Geschenke darbrachten, über die ein wenig überfordert wirkende Neusekretärin, welche diesen Auflauf zu verantworten hatte.

 

 

 

Eben hatte Sabrina ihren Bericht vollendet, als man dem Rektor ansehen konnte, dass ihn die offerierten Schilderungen nicht vollends zufriedenstellten. Eben wollte er seine Stimme erheben und die Anwesenden mit wuchtigen Zurechtweisungen belegen, als die junge Mutter ihr zartes Stimmchen erhob.

 

 

 

„Es war deine Angestellte, die uns vor Kälte und Not bewahrt hat, Vater!“

 

 

 

Da erkannte der Rektor seine Tochter, die er Jahre nicht gesehen hatte und unvermittelt traten ihm die Tränen in die Augen.

 

 

 

„Mary, bist Du es wirklich? Und dort in der Wiege ist das mein Enkelsohn?“

 

 

 

„Nein Vater, es ist ein Mädchen!“

 

 

 

Da schluchzte der Rektor und seufzte …

 

 

 

„Ein Mädchen! Auch an ihr finde ich Wohlgefallen!“

 

 

 

Und so begab es sich in einer Gewerbeschule, in Freiburg, als die Menschheit sich in dieser besonderen Zeit zusammenfand, um beisammen zu sein und der Rektor durchaus Gefallen an Sabrinas Vorgehen fand.

 

 

 

Es hatte wieder zu schneien begonnen …

 

 

 

Frohe Weihnacht Euch allen, wo Ihr auch sein mögt!