Tagebuch in Zeiten der Not

 28.01.2020

 

 

 

In den Medien häufen sich die Berichte über den Ausbrauch eines neuartigen Virustyps in der chinesischen Stadt Wuhan.

 

 

 

In der kleinen Ehegemeinschaft bittet die holde Gemahlin ihren Angetrauten, beim anstehenden Einkauf einige Hygieneartikel zu erwerben. Unter anderem wird Toilettenpapier auf dem Merkzettel notiert.

 

Für den armen Mann, der seit jeher auf seine gute Reputation bedacht war, stellten diese Wünsche der ansonsten pflegeleichten Frau an seiner Seite, wieder einmal eine größere Herausforderung dar.

 

Was mochte es für einen standesbewussten, eleganten Mann denn schon Schlimmeres geben, als, gehüllt im geschmackvollen Dreireiher, passend mit Schal und Einstecktuch, im Supermarkt, beschämt eine Doppelpackung Klopapier in den Einkaufswagen zu legen. Nur um ein wenig hastig die anderen Einkäufe darüber zu verteilen. Als Mäntelchen der Verschwiegenheit gewissermaßen.

 

 

 

21.02.2020

 

 

 

Inmitten der Karnevalsfeierlichkeiten platzt die Nachricht, dass das Coronavirus, trotz restriktiver Maßnahmen sich nicht auf die zuerst betroffene Region Hubei eingrenzen ließ und sich nun ausweitet. Inzwischen verbreite sich der Erreger überall rund um die Welt.

 

 

 

In den heimischen Supermärkten kam es nun vermehrt zu Hamsterkäufen von Seifen, Desinfektionsmittel oder jeglichen Zelluloseartikel, demnach auch Toilettenpapier.

 

Die aufgeklärten Eheleute verfolgten diese Entwicklung mit einem gewissen Amüsement.

 

Als der getreue Gatte daraufhin am folgenden Tag eine ältliche Dame dabei beobachtete, wie sie das letzte Paket, seiner bevorzugten Toilettenpapiermarke, in ihren Rollator stopfte, war er sehr versucht es der Alten zu entreißen. Aber im letzten Moment obsiegte seine Contenance.

 

 

 

22.03.2020

 

 

 

Die Politik sah sich genötigt Deutschlandweit Ausgangsbeschränkungen zu verhängen, nachdem sich die uneinsichtige Bevölkerung von gutgemeinten Ratschlägen nicht beeindrucken ließ.

 

 

 

Der Standesbewusste Ehemann hatte inzwischen jegliche, selbstauferlegte Beschränkungen abgelegt. Die Lage im heimischen Papierlager spitzte sich bedrohlich zu und die Recherchen zur Zellulosefreien Körperhygiene verhießen griechisch-römische Tragik.

 

Bei Kämpfen, die sich innerhalb der Supermärkte, Tag aus Tag ein abspielten, warf er sich nun wie alle anderen ins Getümmel und wusste inzwischen auch seinen Gehstock gezielt einzusetzen.

 

 

 

25.03.2020

 

 

 

Die WELT berichtete als erste Tageszeitung von einer möglichen Unterversorgung der Papierindustrie durch mangelnden Nachschub mit Altpapier, aufgrund der zerbröselnden Wirtschaft. Die Schlangen vor den Handelshäusern erinnerten an die 80er im Ostblock.   

 

 

 

Nach einer abendlichen Krisensitzung wurde das Kriegsrecht ausgerufen. Da die vorhandenen Vorräte der kleinen Ehegemeinschaft höchstens noch für sechs Wochen reichten, beschloss der arme Mann sein Nachtlager vor eben jenen Handelshäusern aufzuschlagen, wo er zusammen mit all den Anderen auf einen Erfolg am umkämpften Tissuemarkt hoffte.

 

 

 

 

 

26.03.2020

 

 

 

Der Frühling hielt in Deutschland Einzug. Mit dem Tirilieren der Vogelschar sowie dem Grünen und Erblühen der Bäume, öffneten sich auch die Herzen der Deutschen. Allerorten halfen sich die Bürger. Unterstützten sich gegenseitig und gaben sich Kraft und Zuversicht in der Zeit der Bedrückung.

 

 

 

Nach einer durchwachten Nacht an einem offenen Feuer, schaffte es der tapfere Mann tatsächlich als einer der Ersten den eben geöffneten Markt zu betreten. Und schon nach wenigen Schritten, denn inzwischen war er in jedem Supermarkt im Umkreis von 50 Kilometern mit dem Point of Sale des Toilettenpapiers vertraut, hielt er das lang Ersehnte in den Händen.

 

Feinstes Tissuepapier, Sauerstoffgebleicht, leicht geprägt und zu allem Überfluss auch noch 4lagig. Genau, wie seine holde Gemahlin es bevorzugte. Zusammengehalten wurde das Arsenal von einer farbenfrohen blau-gelben Verpackung, die nicht nur gegen die Unbilden des Wetters schützte, sondern auch eine perforierte Ecke aufwies, um die spätere Entnahme der Rollen zu erleichtern.

 

Der Mann war ergriffen! Es fühlte sich ein wenig so an, als sei er Roald Amundsen, der nach erfolgreicher Südpolexpedition endlich wieder sein Schiff, die Fram, am Horizont entdeckte.

 

Beschwingt verließ er den Markt und spazierte durch die Straßen der erwachenden Stadt.

 

Es war ein erhebendes Gefühl!

 

Von allen Seiten wohlwollende Blicke, zustimmendes Nicken und vereinzelter Applaus. Ein Passant fragte nach aus welchen Laden er denn käme und ein anderer empfahl gleich das Ausfüllen eines Lottoscheins. Es war beinahe so, als ob man eine wertvolle goldene Taschenuhr aus der Weste zog oder mit einem neuen Ferrari durch die Straßen glitt.

 

Kurz vor seinem Heim trat eine attraktive junge Frau aus einer dunklen Ecke und bot sich ihm an. Für lediglich zwei Rollen würde sie ihm sämtliche Freuden der körperlichen Liebe eröffnen.

 

Mit dem Hinweis auf seinen Ehering lehnte er dankend ab und betrat ein wenig hastig den Hauseingang.

 

 

 

06.08.2022

 

 

 

Die Welt nach CoVid19 ist nicht mehr die gleiche! Die wochenlangen Quarantänemaßnahmen haben entsetzliche Bremsspuren in den Volkswirtschaften überall auf dem Globus hinterlassen. Viele Menschen haben ihren Arbeitsplatz verloren und unzählige Unternehmen gelang es nicht die Verluste von Wochen ohne Umsatz wieder aufzuholen.

 

 

 

Auch in der kleinen Ehegemeinschaft hing der Haussegen schief. Der Kauf von Anteilen der Hygienepapierindustrie hat sich im Nachhinein als falsch herausgestellt. Nachdem sich ganz Europa auf Jahre hinaus mit Klopapier eingedeckt hat, fallen die Umsätze ins bodenlose.

 

Aber obwohl das eingesetzte Kapital wahrscheinlich verloren ist, haben die Beiden bis an ihr Lebensende wohl ausreichend Toilettenpapier. Und falls das nicht reichen sollte, kann man ja auf die zwei Kartons Vorzugsaktienzertifikate zurückgreifen. Immerhin!