Freiheit auf See

 

Es eine Überraschung zu nennen, erschien ihm nicht richtig. Vielmehr handelte es sich eher um eine Art Schock, als seine holde Gemahlin von ihrem Kaffeekränzchen heimkehrte und mit bunten Prospekten wedelte, wie eine Burlesquetänzerin im Berlin der 20er.

 

„Huhuu Schatz, rat mal was ich mitgebrachte habe?“

 

Einem ungeschriebenen Gesetz folgend ließ er seine Beschäftigung ruhen und schaute mit einem Lächeln zu der Heimkehrerin auf.

 

„Ich bin ganz gespannt!“, brachte er noch hervor und war selbst überrascht wie leicht ihm das von den Lippen ging.

 

„Brigitte hat mir erzählt, dass sie und Herbert im Sommer eine Mittelmeerkreuzfahrt planen und dann hat sie mich gefragt, ob wir uns nicht anschließen wollen!“

 

Das war denn auch der Augenblick, als seine Laune in den Keller ging.

 

Gut, sie beiden sahen sich gerne Das Traumschiff an, oder hatten es sich angesehen, ehe der Schlagerfuzzi die Brücke geentert hatte.

 

Und richtig, seit die Kinder aus dem Haus waren hatte man sich vorgenommen die wiedererlangte Freiheit ausgiebig zu genießen.

 

Aber nun selbst eine Kreuzfahrt zu buchen? Was war denn gegen den Wanderurlaub in Altötting einzuwenden, den sie nun doch schon seit beinahe 20 Jahren unternahmen? Nein, eine Kreuzfahrt war nun ganz und gar nicht die Art, wie er sich seinen Urlaub vorstellte!

 

Doch was sollte es? Gemäß den drei Asimovschen Ehegesetzen, die in ihrer mittlerweile langjährigen Beziehung unumstößliche Gültigkeit besaßen:

 

1.       Ein Mann darf seine Frau nicht ins Unrecht setzen, oder zulassen, dass ein anderer es tut!

 

2.       Ein Mann muss den Anweisungen seiner Gemahlin unbedingt Folge leisten, es sei denn Regel 1 würde dabei verletzt!

 

3.       Ein Mann darf durchaus auch mal Recht haben, solange es nicht gegen die Regeln 1 & 2 verstößt!

 

…fügte er sich und machte gute Miene zum verdrießlichen Spiel.

 

„Prima, meine Gute! Das habe ich mir schon so lange gewünscht!“

 

So nahm man gleich am Küchentisch Platz und wälzte die Kataloge, welche die umsichtige Holde wohlweißlich vom örtlichen Reisebüro mitgeschleppt hatte. Man plante eine AIDA-Kreuzfahrt und als sie die verschiedenen in Betracht kommenden Schiffe vor ihm ausbreitete, kam dem guten Mann ein Ausflug nach Papenburg im Emsland in den Sinn.

 

Damals hatte er an einer Führung in der Meyerwerft teilgenommen. In einem Imagefilm wurde die Firmenhistorie beleuchtet und der liebe Mann konnte sich noch genau daran erinnern, womit die Papenburger vor dem Kreuzfahrtboom ihr Geld verdient hatten. Es war der Umbau von gewöhnlichen Schiffen zu Tiertransportern, sogenannten Livestock Carriers gewesen, mit automatischen Fütterungs- und Entmistungsanlagen. Diese Schiffe hörten auf so klangvolle Namen wie Al-Kuwait oder Antares. Als er die Bilder in seinem Kopf mit den Bildern aus dem Reiseprospekt verglich, stellte er fest, dass man das notwendige Knowhow zum Bau von Vergnügungsdampfern bereits erworben hatte, als man noch Schafstransporter für die hungrigen Scheichs gebaut hatte und er fragte sich unwillkürlich, wie es an Bord der Aidabella denn wohl um die Fütterung und Entmistung bestellt sei?

 

Jedenfalls wusste der treue Ehegatte, dass es für Einwände bereits viel zu spät war und so wurde die Reise alsbald gebucht. Sie trug den eigentümlichen Titel Schätze der Adria und unwillkürlich kam bei ihm die Frage auf, ob der Kapitän denn wohl Chinese sei?

 

So reiste man schon Ende April mit dem Flugzeug nach Kreta um sich dort einzuschiffen, wie man es nannte. Dem guten Ehegatten würde sich der Sprachgebrauch der christlichen Seefahrt scheinbar nicht auf Anhieb erschließen.

 

Kaum hatte man, dank eines kundigen Schiffspagen, die gebuchte Außenkabine mit Balkon in den verwinkelten Gängen gefunden, legte der Viechertransporter auch schon ab.

 

Es musste natürlich Kreuzfahrtschiff heißen, rief er sich zur Ordnung!

 

Und nicht zum ersten Mal kam ihm in den Sinn, dass die paar mickrigen Tage, auf diesem Kahn für weit über zwei Wochen Altötting ausgereicht hätten.

 

So gondelte man in den folgenden Tagen entlang der namhaften griechischen und adriatischen Häfen. Von Santorin, über Athen und Split bis schließlich nach Venedig, dem Ziel der Reise.

 

Man flutete die Sehenswürdigkeiten, indem man die Landungsboote bestieg und die Gestade eroberte, wie die Wikingerhorden im Mittelalter.

 

Auf diese Weise wurde sowohl die Akropolis im Sturm erobert, genau wie das Achilleon oder der Diokletianpalast. Überall fielen die 2.500 Passagiere und ein Großteil der Besatzung mit einer Unbarmherzigkeit ein, die den wilden Nordmännern von Einst zur Ehre gereicht hätte. Nur das man statt zu morden und zu brandschatzen heute einigermaßen zivilisierter zu Werke ging.

 

Wenn auch nicht viel!

 

Zwischendurch wurde das vergnügungssüchtige Volk mittels allerlei Kurzweil an Brot und Spielen, an Bord der Aidabella von der Schwere des Daseins abgelenkt. Ob Oktoberfestspektakel, Bingoabende oder Freibier, es wurde an nichts gespart.

 

Auf dem Weg zu einem dieser Happenings irrten die Ehepaare durch die undurchsichtigen Gänge des Schiffsrumpfes. Man war früh genug aufgebrochen, um die Musicaldarbietung mit Laiendarstellern auf Deck 7 nicht zu versäumen, doch der Weg wollte sich den Vieren einfach nicht erschließen. Während sie in Abendgarderobe so durch die Flure hetzten, hatte der treue Ehegatte das unbestimmte Gefühl zwei Gerippe in einer schlecht beleuchteten Nische liegen zu sehen. Zwei gescheiterte Seelen auf der Suche nach dem nächsten Restaurant oder der nächsten Kurzweil. Aber sie eilten so schnell vorüber, dass der Gute bald glaubte er hätte es sich nur eingebildet.

 

Schließlich erreichten sie wohlbehalten Venedig. Die Aidabella schloss sich einem Konvoi von anderen Kreuzfahrttankern an, die sich durch die Lagune bis dicht an den Markusplatz heran schoben. Die Schiffsbäuche öffneten sich und eine schier unglaubliche Masse an Schaugierigen, auf der Suche nach dem Unverfälschten, nach dem Ursprünglichen, ergoss sich über das vollkommen wehrlose Venedig und verdrängte sogar jene Tauben, die sonst im Allgemeinen das Gelände beherrschten. Der Göttergatte, der das schaurige Spektakel vom Aussichtsdeck beobachtete, meinte sehen zu können, dass, in dem Maße wie die Touristen in die pittoreske Lagunenstadt schwappten, die Ureinwohner die Ausfallstraßen verstopften, auf der Flucht vor den Invasoren. Allerdings war sein Blick getrübt. Denn die vier Caterpillar Dieselmotoren mit einer Gesamtleistung von 36.000 PS senkten einen gnädigen Mantel aus Ruß und Stickoxiden über das hässliche Schauspiel. Jedenfalls beschloss der Gute sich an dieser Eroberung nicht zu beteiligen und stattdessen die Ruhe und den Frieden des verwaisten Oberdecks zu genießen.  

 

Als sie am Ende der Reise wieder wohlbehalten in ihr Heim zurückkehrten und noch damit beschäftigt waren die zahllosen Reisemitbringsel lustvoll in der kleinen Wohnung zu drapieren, klingelte energisch das Telefon. Und während es sich der erschöpfte Göttergatte eben in seinem Lieblingsohrensessel behaglich machte, flötete seine Holde erfreut in die Sprechmuschel,

 

„Eine Kreuzfahrt in den Indischen Ozean? Und ob wir uns das vorstellen können, liebe Brigitte!“

 

Der arme Mann seufzte! Sie wollten sich was gönnen, wollten die Freiheit genießen.

 

Aber warum den ausgerechnet in der Enge eines Viehtransporters?